Vorwort zum nachfolgenden Positionspapier
„Politische Bildung innerhalb der Zivilgesellschaft“

Im Oktober 2019 wurde dem Demokratischen Zentrum Ludwigsburg die Gemeinnützigkeit entzogen – der Entzug fußt auf dem erst im Februar 2019 gefällten Urteil zur politischen Betätigung gemeinnütziger Vereine im Fall der bundesweit tätigen Organisation Attac Deutschland. Ziel des Urteils sollte eigentlich die Trennung zwischen gemeinnützigen Organisationen und Parteien in Bezug auf Steuervorteile sein. Mit dem Urteil ist das Bundesfinanzministerium jedoch weit über das Ziel hinausgeschossen – es ist nicht nur eine mangelnde Rechtssicherheit für sich politisch betätigende Vereine entstanden. Vielmehr ist eine grundlegende Diskussion darüber entstanden, wer in der Bundesrepublik Deutschland Teil der politischen Willensbildung ist und wer nicht. So verbietet das Urteil gemeinnützigen Organisationen die den Zweck der politischen Bildung verfolgen sowohl eine eigene politische Haltung zu äußern, als auch die politische Partizipation als solche. Der Entzug der Gemeinnützigkeit ist für viele Vereine existenzbedrohend – die Gemeinnützigkeit bringt nicht nur Steuervorteile im Sinne der Abgabeordnung mit sich. Fast immer sind Fördermittel an eine bestehende Gemeinnützigkeit gebunden. Die beschriebene Unsicherheit der Vereine und die drohenden Konsequenzen haben zur Folge, dass sich Vereine nicht mehr politisch äußern.

Als Verein, der seit vielen Jahrzehnten politische Bildung gestaltet, teilen wir dies Ansicht des Bundesfinanzhofs nicht. Wir sind der Meinung, dass Akteur*innen der Zivilgesellschaft per se politisch sind – sie übernehmen Aufgaben und Tätigkeiten die dem Gemeinwohl dienen und haben daraus auch des Recht politisch Position zu beziehen. Es darf nicht sein, das Vereine beispielsweise in der Entscheidung zögern, ob sie eine Demonstration gegen Rassismus unterstützen können oder ob sie in Folge dessen mit dem Verlust der Gemeinnützigkeit rechnen müssen. Wenn das geltende Recht so ausgelegt und flexibel angewendet werden kann, bietet dies die Grundlage dafür, politisch Andersgesinnte zu diskreditieren.

Aus diesem Grund wollen wir eine Debatte über das Verständnis politischer Bildung anstoßen, denn: politische Bildung darf nicht nur in Form von „belehrenden Vorträgen“ gestaltet werden, wie es das Urteil des Bundesfinanzministerium vorschlägt. Politische Bildung muss praktisch gelebt und umgesetzt werden und darf nicht durch einen Maulkorb für die Zivilgesellschaft eingeschränkt werden.

Wir schließen uns mit diesem Positionpapier den Forderungen der „Allianz – Rechtssicherheit für politische Willensbildung e.V.“ zur Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts an und fordern die Umsetzung dieser:

  1. Die Ergänzung der Liste gemeinnütziger Zweckein § 52 Absatz 2 der Abgabenordnung mindestens um Förderung
    • der Menschenrech­te und Grundrechte,
    • des Friedens,
    • des Klimaschutzes,
    • der sozialen Gerechtigkeit,
    • der in­formationellen Selbstbestimmung und
    • der Geschlechter-Gleichstellung.
  1. Die Klarstellung, dass die Beteiligung an der politischen Willensbildung unschädlich für die Gemeinnützigkeit ist
  2. Gemeinnützige Organisationen müssen sich bei Gelegenheit auch über ihre eigenen Satzungszwecke hinaus für andere gemeinnützige Zwecke engagieren können, ohne das Ausschließlichkeits-Prinzip zu verletzen.
  3. Im § 52 Absatz 2 bei Zweck 24, Förderung des demokratischen Staatswesens, müssen diese Einschränkungen gestrichen werden:
    • Verbot, kommunalpolitische Ziele zu verfolgen
    • Zusatz „im Geltungsbereich dieses Gesetzes“
  1. Die Streichung der Verfahrensregel in § 51 Absatz 3 Satz 2, dass die Erwähnung in einem Verfassungsschutzbericht die Beweislast für einen Verstoß gegen Gemeinnützig­keits-Regeln umkehrt
  2. Zu streichen ist die Beschränkung in § 51, Absatz 2, dass eine Tätigkeit im Ausland nur dann gemeinnützig ist, wenn die geförderten Personen ihren Wohnsitz in Deutsch­land haben oder wenn damit zum Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Aus­land bei­getragen wird

Das nachfolgende Positionspapier definiert politische Bildung aus der Sicht zivilgesellschaftlicher Akteur*innen. Wir laden alle dazu ein, diese Position zu unterzeichnen und mitzutragen.

 

Positionspapier zu
„Politische Bildung innerhalb der Zivilgesellschaft“

        verfasst vom Demokratischen Zentrum Ludwigsburg – Verein für politische und kulturelle Bildung e.V.

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In diesem Positionspapier gehen wir von einem Bildungsverständnis aus, dass sich auf den Willen der Selbstbildung eines jeden Menschen bezieht. Welche Inhalte verinnerlicht werden, entscheidet demnach jeder Mensch selbst. Politische Bildung ist demnach zum einen eine grundlegende Wissensvermittlung und zum anderen die Vermittlung von Kompetenzen, die Menschen zur Teilhabe an gesellschaftspolitischen Prozessen bestärken. Dazu gehört neben der Fähigkeit Kompromisse zu finden und einzugehen auch kontroverse Diskussionen führen zu können.

Die Zivilgesellschaft ist eine wichtige Akteurin politischer Bildung, da staatliche Einrichtungen, wie beispielsweise die Schule, zum einen nicht die Möglichkeit haben alle Bereiche der politischen Bildung abzudecken. Zum anderen bedarf es unabhängiger Bildungsstellen und -angebote, die eine multiperspektivische und auch kritischere Perspektive auf gesellschaftspolitische Themen einnehmen, um damit z.B. auch Ansätze und Institutionen staatlicher Bildung von außen reflektieren zu können.

Um kontroverse Debatten in unserer Gesellschaft sichern zu können, benötigt es nicht nur das Recht, sondern auch die Möglichkeit für alle Akteur*innen der Zivilgesellschaft sich politisch äußern zu können. Solange diese Äußerungen auf der Grundlage der Menschenrechte geschehen, müssen sie frei von Sorge handeln können, eventuelle Negativfolgen, wie z.B. den Verlust der Gemeinnützigkeit zu erfahren. Zudem geben soziale Räume innerhalb der Zivilgesellschaft vielen Menschen erst die Möglichkeit zur politischen Beteiligung außerhalb der politischen Parteien.

Entscheidend für die politische Bildung innerhalb der Zivilgesellschaft ist, dass die Gestalter*innen selbstbestimmter Bildung eine Doppelrolle einnehmen. Nämlich, dass sie nicht nur gestalten, sondern auch gleichzeitig immer selbst Adressat*innen der politischen Bildung sind. Somit ist die politische Teilhabe zivilgesellschaftlicher Institutionen immer das Produkt eben dieser selbstbestimmt gestalteten Bildungsprozesse. Viele Vereine, die politische Bildung anbieten, können ihre Aufgabe nur durch die steuerlichen Vorteile einer Gemeinnützigkeit betreiben. Zumindest solange die Teilnahme an den Bildungsangeboten allen sozialen Schichten zugänglich sein soll. Erschwert oder unterbindet sogar ein Gesetz oder ein Gerichtsurteil nun diese politische Partizipation, ist dies ein dramatischer Angriff auf die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Lehre nach Artikel 5 des Grundgesetzes. In Artikel 21 heißt es außerdem, die Parteien „wirken an der politischen Willensbildung mit“. Die politische Willensbildung ist also nicht allein ihnen überlassen. Unsere Verfassung eröffnet einen Raum für andere Akteure wie Vereine, sich politisch einzubringen.

Außerhalb der Parteien muss politische Bildung zwar parteiunabhängig sein, kann und darf aber nicht werteneutral sein. Diese Haltung entsteht auch aus dem Bewusstsein heraus, dass Bildung nie wieder so instrumentalisiert werden darf, wie in der Zeit des Nationalsozialismus. Das bedeutet weiter, dass politische Bildung immer mit einem Ziel und den dahinterstehenden, auf den Menschenrechten basierenden Werten verbunden ist.

Es stellt sich nun also die Frage, welche Ziele und Werte für uns hinter der politscher Bildung innerhalb der Zivilgesellschaft stehen:

  1. Die Förderung einer reflektierenden, (selbst-)kritischen Auseinandersetzung mitgesellschaftspolitischen Themen.
  2. Die Befähigung zur Beteiligung an vielfältigen, auch unkonventionellen Formen  der Demokratie.
  3. Die Weiterentwicklung der Persönlichkeit in Bezug auf Selbstbehauptung, Selbstachtung und Selbstwirksamkeit.

Die dahinterstehenden Werte orientieren sich unter anderem an der Gleichberechtigung und Gleichheit aller Menschen über Grenzen hinweg, der Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft und der Weiterentwicklung der aktuellen Verhältnisse hin zu einer Welt, in der Menschen nicht ständig mit der Ausbeutung ihrer selbst oder mit Diskriminierungen jedweder Art konfrontiert werden.

Dabei ist die Transparenz in Bezug auf die Ziele und Werte der politischen Bildungsangebote der elementare Schlüssel zum Schutz vor Indoktrinierung und Überwältigung. Verheimlichen Träger*innen politischer Bildung ihre Intention, können Inhalte durch Adressat*innen nicht in eben diesen möglichen Zusammenhang eingeordnet werden.

Die Unterzeichner*innen dieses Positionspapiers positionieren sich zur Rolle der Politischen Bildung innerhalb der Zivilgesellschaft und fordern eine sofortige Änderung der umliegenden Rechtslage, damit Vereine Rechtssicherheit für politische Willensbildung erlangen. Eine funktionierende Demokratie benötigt Engagement auch außerhalb von Parteien – politische Bildung und politische Partizipation, die nicht nach Macht strebt, sind innerhalb der Zivilgesellschaft nicht von einander zu trennen.

Unterzeichner*innen Organisationen

Demokratisches Zentrum Ludwigsburg – Verein für politische und kulturelle Bildung e.V.
AWO Ludwigsburg gemeinnützige GmbH
JUZ Mannheim
Haus Mainusch – selbstverwaltetes Haus auf dem Unicampus Mainz
AK Asyl Ludwigsburg
Frauen für Frauen e.V. Ludwigsburg
Antiquariat Alt-Hoheneck
NaturFreunde Landesverband Württemberg e.V.
Allgemeine Syndikat Stuttgart (FAU)
Infoladen cronopio, Mainz
GRUNZ e.V.
Die AnStifter e. V.
Arbeitslosenzentrum Ludwigsburg e.V.
Allmende Stetten – Politik und Kultur e.V.
Parteifreies Bündnis PFB im Gemeinderat Kernen
K21 Kernen – Verein zur Förderung eines zukunftsfähigen Öffentlichen Personennahverkehrs
Förderverein Synagogenplatz Ludwigsburg e.V.
Arbeitskreis Dialog Synagogenplatz Ludwigsburg
p8 Panorama e.V. Karlsruhe
SJD – Die Falken Karlsruhe
(LB)² – Libertäres Bündnis Ludwigsburg
Epplehaus Tübingen
Kreisvorstand DER LINKEN Rems-Murr
Münze 13 e.V. Tübingen
SJD – Die Falken LV Baden-Württemberg
Stolperstein-Initiative Ludwigsburg
attac Besigheim-Ludwigsburg
Wartesaal – Kultur in Besigheim e.V.
NaturFreunde – Ortsgruppe Ludwigsburg
Feierabendkollektiv Stuttgart
Kulturbüro Sorglos Stuttgart
Soziale Zentrum Käthe Heilbronn
Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg
DGB – Region Nordwürttemberg
Kulturinsel Stuttgart gemeinnützige GmbH
contain’t e.V., Stuttgart
Selbstverwaltetes Stadtteilzentrum Gasparitsch
Mut gegen Rechts Initiative Ludwigsburg

Unterzeichner*innen Einzelpersonen
Elke Spieß
Rahel Werner
Yvonne Kratz
Hannelore und Harald Habich
Uli Essig
Markus Ochs
Stephan Kober, Kreisvorstand der LINKEN Rems-Murr
Cathrin Dettmann