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Nimmt man das Szenario früherer Kriegsausbrüche als Vergleichsebene, dann fallen an den Spannungen um die Ukraine in diesem Winter einige Merkwürdigkeiten auf. Wo gibt es denn das, dass der angeblich unmittelbar in seiner Existenz bedrohte Staat die Situation fast so gelassen kommentiert wie das zum „Aggressor“ gestempelte Russland? Die schrillsten Töne kommen aus großer Entfernung: Washington und London.

Zweifellos hat Russland entlang der Grenze zur Ukraine einiges an Soldaten und Material aufmarschieren lassen. Aber es hat das in einer Weise getan, die widersinnig scheint, wenn man unterstellt, es handle sich um die Vorbereitung eines Angriffskrieges: ohne größere Tarnung, die Panzer und Haubitzen ordentlich geparkt wie Autos vor einem Einkaufszentrum, förmlich zum Mitzählen für die Satellitenauswertung des Gegners. Und dort stehen sie seit nun mindestens drei Monaten herum, und militärisch passiert gar nichts. Vielleicht war also der Zweck auch ein ganz anderer?

Hätte Wladimir Putin vorgehabt, die Ukraine zu überfallen, hätte er all diese Monate nicht verstreichen lassen dürfen – und sei es nur deshalb, weil die Ukraine dann die mehreren tausend Panzerabwehrraketen, die sie inzwischen aus Großbritannien bekommen hat, noch nicht zur Verfügung gehabt hätte. Denn vom Standpunkt tatsächlicher Kriegführung ist Zeitverlust mit dem Verlust des Überraschungsmoments und damit der Initiative verbunden.

Zumal: ein Land zu erobern reicht ja nicht. Man muss es anschließend auch kontrollieren. Dafür braucht man nach Darstellung von Militärs etwa dreimal so viele Soldaten wie für eine Eroberung. Russland hätte nach einem solchen Angriff große Teile seiner Landstreitkräfte mit Besatzungsaufgaben gebunden. Könnte es, nach immanenter militärischer Logik betrachtet, hieran Interesse haben?

Eben. Dagegen gibt es natürlich Kreise, die an einem solchen Fall durchaus interessiert wären: die westlichen Gegner Russlands. Insbesondere die USA und Großbritannien, die weit vom potentiellen Schuss entfernt liegen und als große bzw. kleinere Insel alle Möglichkeiten haben, sich eventuelle Flüchtlingsströme aus der Ukraine vom Leibe zu halten. Es zeichnet sich das Szenario einer Stellvertreter-Eskalation ab.

Es sei denn, der Westen findet sich doch noch zu Verhandlungen über die von Russland geforderten Sicherheitsgarantien bereit.

All diese Perspektiven wird Reinhard Lauterbach am 22. Februar in einem Livestream mit uns diskutieren – dafür benötigt ihr keinerlei Vorkenntnisse zur Situation!

Reinhard Lauterbach ist seit 2013 Osteuroparedakteur der Tageszeitung „Junge Welt“. Davor war er ab 1986 Hörfunkredakteur für verschiedene Bereiche beim Hessischen Rundfunk. Er hat in Mainz, Bonn und Kiew Geschichte und Slavistik studiert. Er wohnt in Polen und ist zuständig für die aktuelle Berichterstattung aus Polen, der Ukraine, den baltischen Staaten, Russland und Tschechien.

Die Veranstaltung wird durchführt in Kooperation mit der Rosa Luxemburg Stiftung Baden-Württemberg



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